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»Kooperation und Corona« von Walter Kemp

Security and Human Rights Monitor, 23. März 2020
Meinung von Walter Kemp

Dr. Walter Kemp ist Experte, sowie Sonderberater der kooperativen Sicherheitsinitiative, welche von FES ROCPE und GLOBSEC ins Leben gerufen wurde. Außerdem ist er Senior Fellow der globalen Initiative gegen transnationale organisierte Kriminalität und Mitglied des Redaktionsausschusses des Sicherheits- und Menschenrechtsbeobachtungsteams.

Wie andere Institutionen ist auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) von dem Coronavirus betroffen. Sowohl das Personal als auch die Anzahl an Sitzungen wurden reduziert. Themen, welche ehemals politische und operative Prioritäten waren, sind jetzt, aufgrund der aktuellen Krise, weniger wichtig geworden. Da Gesundheitsthemen nicht auf der Tagesordnung der OSZE stehen, könnte man argumentieren, dass die Organisation diese Krise einfach aussitzen sollte und die grundlegenden Dienste am Laufen halten muss (wie die Unterstützung von Feldoperationen).

Aber diese Gesundheitskrise könnte schon bald Auswirkungen auf wirtschaftliche und soziale Herausforderungen haben, die sich auch auf die Sicherheit und die gutnachbarlichen Beziehungen auswirken könnten. Es ist unter anderem eine Krise des Multilateralismus. Wenn die Regierungen nicht effektiv zusammen mithilfe der Vereinten Nationen, der Weltgesundheitsorganisation, der G20, oder der Europäische Union arbeiten, schwindet das öffentliche Vertrauen in diese Organisationen noch weiter.

Was ist mit der OSZE: Wie könnte sie einige der Nebenwirkungen dieser Krise angehen?

Viele Teilnehmerstaaten haben beschlossen, ihre Grenzen zu schließen. Das ist verständlich, hätte aber in einer besser koordinierten und abgesprochenen Weise geschehen können. Es lohnt sich, an das OSZE-Konzept für Grenzsicherheit und Grenzanagement aus dem Jahr 2005 zu erinnern und es – wie beabsichtigt – als Rahmen für die Zusammenarbeit zu nutzen.

In einigen OSZE-Teilnehmerstaaten wird die Armee bereits zur Durchsetzung von Quarantänen oder zur Unterstützung der Hilfskräfte hinzugezogen. Bei sozialen Unruhen werden Polizei und Militär an der Front sein. Hier wird es darauf ankommen, dass sich die Teilnehmerstaaten an den Verhaltenskodex zu politisch-militärischen Aspekten der Sicherheit (1994) halten, der die Rolle der Streitkräfte in demokratischen Gesellschaften regelt.

Da die Staaten die Kontrollen verschärfen, die Bewegungsfreiheit einschränken und verschiedenste Technologien zur Überwachung ihrer Bevölkerung einsetzen, könnten wir in unbekanntes Terrain vorstoßen, was zu unangenehmen Kompromissen zwischen Gesundheit, nationalen Sicherheitsprioritäten und der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten der Bürger führt.

Um die OSZE-Prinzipien durchzusetzen und zu wahren, auch wenn diese initial nicht für eine solche Krise konzipiert wurden, wird die OSZE mit Institutionen wie dem Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte, sowie den Beauftragten für Medienfreiheit und mit den Staaten zusammenarbeiten müssen. Der Beauftragte für Medienfreiheit beispielsweise hat bereits eine Pressemitteilung herausgegeben, in der die Bedeutung freier Medien in der Corona-Krise ausführlich unterstrichen wird.

Einige Teilnehmerstaaten brauchen während oder nach der Krise möglicherweise mehr Hilfe als andere. Das OSZE-Konzept der wirtschaftlichen Vernetzung wird unter neuen Umständen in Betracht gezogen werden müssen: Zusammenarbeit und Koordination werden von großer Bedeutung sein, um sicherzustellen, dass die Staaten über die erforderlichen Medikamente, Nahrungsmittel und medizinischen Hilfsgüter verfügen.

Vielleicht wird die Krise einen Stimmungs- und Einstellungswandel mit sich bringen. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass sich das internationale Sicherheitssystem in der Regel erst nach Kriegen reformiert: wie 1815, 1919 und 1945. Die Corona-Krise könnte eine ähnliche Wirkung haben. Vielleicht ist es der Ruck, den das System braucht, um die Bedeutung von Prävention, frühzeitigem Handeln, Stärkung der Widerstandsfähigkeit (in Übereinstimmung mit der SDG 16), Zusammenarbeit und Stärkung der internationalen Institutionen zu erkennen. Ironischerweise könnte sie einige Staaten aus ihrer einstigen Selbstisolierung herausführen und diesen das Eigeninteresse an einem wirksameren Multilateralismus erkennen lassen.

Auf den ersten Blick scheint diese Krise eine Niederlage für die Zusammenarbeit und ein Sieg für diejenigen zu sein, die Mauern errichten und das internationale System niederreißen wollen. Aber wie Kevin Rudd in einem kürzlich erschienenen Leitartikel betonte, „in Zeiten internationaler Krisen ist das Ausspielen der nationalistischen Karte die einfachste und gröbste Form der Innenpolitik“, aber „es löst kein einziges Problem. Nur eine effektive globale Koordination kann dies erreichen“.

Walt Disney hatte Recht: „Die Welt ist doch klein. Wenn wir so miteinander verbunden sind, müssen wir zusammenarbeiten, innerhalb von Gemeinschaften, Staaten und auf globaler Ebene. Dies ist kein verschwommenes liberales Ideal, es geht um unsere Existenz. Wie Andrey Kortunov kürzlich fragte: „Welches andere Signal braucht die Menschheit, um den Selbsterhaltungstrieb, der jeder biologischen Spezies innewohnt, zu wecken?

Man sagt, dass nach dieser Krise die Dinge nicht mehr so sein werden wie vorher. Ich hoffe, sie haben Recht. Die Entwicklung der letzten Jahre ging nicht in die richtige Richtung. Vielleicht wird der Coronavirus – so verheerend er auch ist – die Chance sein, das internationale System zu reformieren. Um die jüngsten Meinungsverschiedenheiten beiseite zu legen. Um die wirklichen Probleme anzugehen, die die Sicherheit heute betreffen: Pandemien, Migration und Klimawandel. Sich respektvoller gegenüber einander zu verhalten. Und gemeinsame Maßnahmen zu ergreifen, um gemeinsame Bedrohungen und Herausforderungen anzugehen.

Es ist noch ein langer Weg, bis die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Krise überwunden sind. Die menschlichen und finanziellen Kosten werden schwerwiegend sein. Aber vielleicht wird es, wenn wir die Krise überwunden haben, ein größeres Verständnis dafür geben, dass unser Überleben von Wahrheit, Vertrauen und Zusammenarbeit abhängt. Und wir werden unsere internationalen Beziehungen dementsprechend gestalten.

Übersetzung
Quelle: Security and Human Rights Monitor, 23. March 2020
https://www.shrmonitor.org/cooperation-and-corona/